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Der VG Wort-Rahmenvertrag: Was Du wissen musst

Wenn eine wissenschaftliche Arbeit im Intranet einer Universität digital für Lehre und Forschung verfügbar gemacht wird, hat der Urheber ein Recht auf eine Ausgleichszahlung für diese Verwendung seines Werks. Bisher zahlten die Länder für solche „Zweitnutzungen“ einen pauschalen Betrag, der von der VG Wort an die Autoren weitergegeben wurde. Ein neuer Rahmenvertrag sollte diese Regelung jedoch aufheben. Stattdessen sollte jede Verfügbarmachung digitaler Kopien einzeln abgerechnet werden. Die Universitäten weigerten sich auf Grund des Arbeitsaufwands, dem neuen Vertrag beizutreten. So wäre es ab dem 01.01.2017 verboten gewesen, digitale Kopien im Universitätsintranet zur Verfügung zu stellen.

 

In den letzten Wochen forderten viele deutsche Universitäten ihre Studierenden dazu auf, ihre auf Lernplattformen wie Ilias oder Moodle gespeicherten Kopien wissenschaftlicher Texte zu sichern. Ab dem 01. Januar 2017 sollte es nicht mehr möglich sein, wissenschaftliche Texte digital für Lehrzwecke zur Verfügung zu stellen. Bestehende Inhalte sollten gelöscht und neue Uploads unmöglich werden. Die Begründung: Die VG Wort und die Kultusministerkonferenz hatten einen neuen Rahmenvertrag beschlossen, dem die Universitäten nicht beitreten wollten.

Müssen wir also zurück zum analogen Semesterapparat und zum kollektiven Kopiermarathon? Was passiert wirklich? Und warum das Ganze?

Wir erklären Dir in diesem Beitrag kurz, was es mit dem Rahmenvertrag auf sich hat und wie sich die Situation aktuell darstellt.

 

Was ist die VG Wort?

Wer geistiges Eigentum produziert, hat ein Recht darauf, dafür vergütet zu werden, wenn andere Gebrauch davon machen. Klar ist: Wer seine Werke über einen Verlag verkauft, erhält eine Beteiligung am Erlös. Aber auch wenn Werke kostenfrei – zum Beispiel in Bibliotheken – zugänglich gemacht werden, stehen den Autoren für eine solche „Zweitnutzung“ Tantiemen zu. Dazu zählen neben der Bereitstellung durch Bibliotheken beispielsweise auch der Kopienversand oder die Veröffentlichung in Pressespiegeln. Dieser Ausgleich ist für die Autoren auch wichtig, denn viele Arbeiten werden insbesondere im akademischen Bereich häufig nur als Nachschlagewerke und auszugsweise verwendet. Dadurch werden oft keine Einzelwerke erworben.

Die Tantiemen, die den Urhebern durch die Zweitverwertung ihrer Werke zustehen, werden von der Verwertungsgesellschaft Wort treuhänderisch verwaltet. Die VG Wort ist ein nicht gewinnorientierter Wirtschaftsverein, der unter der Aufsicht des Patent- und Markenamtes steht. Sie fungiert als Vermittler zwischen den Rechteinhabern und den Universitäten, Bibliotheken, Copyshops etc. Wer also beispielsweise eine Dissertation veröffentlicht hat, kann diese bei der VG Wort melden und erhält für die Zweitnutzung seiner Arbeit eine Ausschüttung, die auf einem komplizierten Verteilungsschlüssel basiert.

Anspruch auf Vergütung haben Autoren auch dann, wenn Lehrende ihren Studierenden wissenschaftliche Texte digital zugänglich machen, z.B. in einem digitalen Semesterapparat. Der aktuelle Streit zwischen der VG Wort und den Universitäten dreht sich um die Frage, in welcher Form diese Tantiemen ermittelt und gezahlt werden sollen.

 

Die bisherige Regelung

Die gesetzliche Grundlage für das Bereitstellen wissenschaftlicher Texte zu nicht-kommerziellen Zwecken bildet der dem Urheberschutzgesetz 2003 hinzugefügte §52a UrhG. Dieser erlaubt, dass kleine Teile von Werken, Werke von geringem Umfang und Zeitungs- oder Zeitschriftenartikel abgegrenzten Gruppen für Unterrichts- oder eigene Forschungszwecke öffentlich zugänglich gemacht werden dürfen. Er regelt aber auch, dass für eine solche Nutzbarmachung eine angemessene Vergütung an die Rechteinhaber zu zahlen ist. Für die digitale Bereitstellung wissenschaftlicher Texte zahlten die Universitäten der VG Wort bisher eine auf einem Rahmenvertrag zwischen der Kultusministerkonferenz der Länder und den Hochschulen basierende Pauschale. Diese Pauschale betrug insgesamt 2.175.000 Euro pro Jahr. Es war daher nach der bisherigen Regelung nicht notwendig, zu erfassen, welcher Text wie vielen Studierenden in welchem Umfang zugänglich gemacht wurde.

 

Der Streit um die geplante Änderung des Rahmenvertrags

2016 entwickelten die VG Wort und die Kultusministerkonferenz der Länder einen neuen Rahmenvertrag. Dieser sieht vor, dass in Zukunft jede digitale Nutzbarmachung urheberrechtlich geschützten Materials im Rahmen einer Einzelerhebung erfolgen soll. Das bedeutet, dass jede einzelne verwendete Seite und die Zahl aller darauf zugreifenden Studierenden gemeldet werden müssten. Pro Seite ist ein Betrag von 0,008 vorgesehen. Die Abrechnung soll über ein elektronisches Meldeverfahren erfolgen. Nach aktueller Rechtsprechung (vgl. BGH-Urteil vom 20.03.2013, I ZR 84/11) ist der so entstehende Mehraufwand vertretbar. Die Universitäten sehen das allerdings anders.

 

Das Pilotprojekt der Universität Osnabrück

Die Universität Osnabrück hat im Wintersemester 2014/2015 das neue Verfahren in einem Pilotprojekt getestet. Die Ergebnisse wurden in einer Machbarkeitsstudie zusammengefasst. Diese kam zu dem Ergebnis, dass die geplanten Änderungen im Vergleich zum bisherigen Modell einen enormen Mehraufwand bedeuten würden. Beispielsweise müssten die Lehrenden in Zukunft regelmäßig geschult werden. Der Rechercheaufwand, um festzustellen, ob ein Dokument meldepflichtig ist, war für die Teilnehmer des Projekts sehr hoch. Unter anderem erwies sich die Abgrenzung zum Zitatrecht als schwierig. Außerdem musste aus wirtschaftlichen Gründen immer geprüft werden, ob beispielsweise bereits eine Campus-Lizenz vorlag. Zusätzlich verschlang auch der Meldevorgang an sich Zeit. Die geplante hochschulinterne Abrechnung würde außerdem auch einen hohen Aufwand für die Hochschulen selbst bedeuten. Es wurde festgestellt, dass diese Schwierigkeiten dazu führten, dass die Lehrenden viel weniger Gebrauch vom §52a UrhG machten. Gleichzeitig griffen sie aber auch nicht auf Alternativen wie den klassischen Semesterapparat zurück. So erhöhte sich der Literaturbeschaffungsaufwand für die Studierenden enorm.

Unter Bezugnahme auf diese Ergebnisse distanzierten sich nach und nach immer mehr Landesrektorenkonferenzen und die einzelnen Universitäten von dem neuen Rahmenvertrag. Sie erklärten, diesem auf Grund des enormen Zusatzaufwands für Lehrende nicht beitreten zu wollen. Auch viele Studierende kritisierten die geplanten Änderungen und brachten ihre Bedenken beispielsweise mit einer von 88.318 Menschen unterschriebenen Petition zum Ausdruck. Der Freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) äußerte sich in einem offenen Brief ebenfalls negativ.

Die Konsequenz aus der Weigerung der Hochschulen wäre die Löschung von urheberrechtlich geschütztem Material aus den Lernplattformen zum 01.01.2017 und der Verzicht auf eine zukünftige digitale Bereitstellung geschützter Texte gewesen. Die VG Wort zeigte sich in einem Interview mit netzpolitik.org von der Weigerung der Universitäten überrascht. Sie verweist darauf, dass bereits seit dem BGH-Urteil 2013 bekannt gewesen sei, dass eine solche Neuregelung getroffen werden würde.

 

Vorläufiges Aufatmen

Auf Grund der Weigerung der Hochschulen, dem neuen Rahmenvertrag in dieser Form beizutreten, gründeten die Hochschulrektorenkonferenz, die VG Wort und die Kultusministerkonferenz Ende 2016 eine Arbeitsgruppe. Ihre Aufgabe ist das Erarbeiten einer einvernehmlichen Lösung des Konflikts. Zunächst blieb unklar, ob durch die Gründung der Arbeitsgruppe das Inkrafttreten der neuen Regelung zum Jahresbeginn 2017 mit allen daraus folgenden Konsequenzen abgewendet werden könne. Seit Mitte Dezember gibt es aber eine vorläufige Entwarnung: Die bisherige Regelung wird bis zum 30.09.2017 aufrecht erhalten werden. Bis dahin solle eine „praktikable und sachgerechte Lösung“ gefunden werden.

 

Ein Symptom unserer Zeit

Der aktuelle Streit um die Einzelabrechnung von im Universitätsintranet verfügbaren Kopien wissenschaftlicher Texte fügt sich nahtlos in eine größere Diskussion des digitalen Zeitalters ein. Seit das Internet unseren Alltag maßgeblich bestimmt, müssen in vielen Bereichen neue Gesetze und Regelungen getroffen werden. Dies betrifft neben dem Urheberrecht beispielsweise auch ganz massiv sämtliche Bereiche des Medienrechts. Oft sind allerdings bis heute keine praktikablen und für alle Beteiligten zufriedenstellenden rechtlichen Regelungen getroffen worden.

Viele Inhalte sind heute rund um die Uhr kostenlos verfügbar – seien es Musikvideos auf Youtube, die Tagesschau in der Mediathek, die Artikel großer Tageszeitungen auf deren Internetpräsenz oder eben der eingescannte Aufsatz für die nächste Hausarbeit. Einschränkungsversuche wie die Begrenzung frei lesbarer Artikel auf eine bestimmte Anzahl pro Monat oder Sperrungen von Musikvideos durch die GEMA („Dieses Video ist in Deinem Land nicht verfügbar“) lassen sich meist leicht umgehen. Ein Schritt zurück hinter den Status quo scheint nicht mehr denkbar. Es werden daher immer mehr Forderungen nach einer generellen Reform des Urheberrechts laut. Diese soll den Nutzern einen zeitgemäßen Zugang zu Inhalten und den Urhebern eine angemessene Vergütung ermöglichen. In der Diskussion steht beispielsweise die Idee einer sog. „Kulturflatrate“. Mit dieser würden die ohnehin täglich stattfindenden Kopierhandlungen legalisiert werden, da sie durch die Zahlung der Flatrate abgegolten wären. Die Abgaben könnten dann beispielsweise abhängig von der Häufigkeit der Nutzung an die Urheber weitergegeben werden. Kritiker merken unter anderem an, dass es sich um eine vom tatsächlichen Konsum unabhängige Zwangsabgabe handeln würde.

 

Wie geht es weiter?

Die VG Wort hatte als Reaktion auf die Osnabrücker Studie eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen erarbeitet. Diese wurden vom Team des Pilotprojekts zwar positiv bewertet, würden aber laut einer Stellungnahme aus Osnabrück nur den konkreten Meldevorgang und damit ca. 10 % des Arbeitsaufwands betreffen. Es bleibt daher abzuwarten, auf welche Änderungen sich die neu gegründete Arbeitsgruppe verständigen wird. Von der Forderung einer Einzelabrechnung scheint die VG Wort prinzipiell nicht abrücken zu wollen. Die drohende Löschung Eurer Materialien und ein Verbot zukünftiger Uploads ist aber scheinbar erstmal vom Tisch. Achtet in dieser Frage auch auf die Ankündigungen Eurer Uni. Rechercheportale wie Thesius wären von der Neuregelung übrigens ohnehin nicht betroffen.

Vor allem im wissenschaftlichen Bereich ist ein freier Zugang zu digitalisierten Forschungsmaterialien ein Vorteil für alle Teilnehmer des Universitätsbetriebs, der sich positiv auf die Qualität von Lehre und Forschung auswirkt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist allerdings noch unklar, in welcher Form die Autoren zukünftig angemessen für die digitale Bereitstellung ihrer Arbeit durch die Hochschulen vergütet werden können. Wir werden Dich über die aktuellen Entwicklungen rund um den geplanten Rahmenvertrag auf dem Laufenden halten.

 

 
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